Oktober 2013 / Sturmtief Christian wütet über Norddeutschland

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30.10.2013

Das Orkantief „Christian“, das am Montag in nur wenigen Stunden immense Schäden verursachte, wird sicher genauso in die Geschichte Norddeutschlands eingehen, wie „Anatol“ 1999.

 

 

Dieser hatte sich vor 14 Jahren bereits als Jahrhundertsturm ins Gedächtnis der Insulaner eingeprägt. „Dieser Sturm hatte ein viel kürzeres Auftreten als Anatol und doch haben diese gewaltigen Böen offensichtlich viel mehr Schäden angerichtet“, bringt es ein Feuerwehrmann bei den Sicherungsmaßnahmen am Dienstag auf den Punkt.

 

 

Die Sturmbilanz ist schon gruselig, zumal manche Abschnitte des Amrumer Waldes nicht wieder zu erkennen sind. „Ich habe Freunde die wohnten mal im Wald“, merkte ein Wittdüner an, als er auf die nahezu im Meter Abstand am Boden liegenden Kiefern und Fichten im Tanenwai schaute. Auf weiter Flur ragt nur ein abgebrochener Stamm in die Höhe, wo am Montagmorgen noch der beliebte Rad- und Wanderweg durch einen Wald führte. „Der Vergleich mit einem Bombenangriff scheint gerade nicht soweit hergeholt zu sein“, zeigte sich ein besorgter Anwohner erschrocken von dem Anblick.

 

Mit rund achtzig Einsatzkräften unzähligen Motorsägen, Radladern, Traktoren und Baggern kämpften sich die Amrumer Feuerwehren zu Sicherungsmaßnahmen durch die Hauptwege des Amrumer Wald. „Wir sind wirklich erschrocken, wie viele Schaulustige und Unbedarfte durch die Wälder schleichen und unter abgebrochenen Baumstämmen umherklettern und sich darunter für ein Foto positionieren “, zeigten sich der stellvertretende Amtswehrführer Klaus-Peter Ottens und Gemeindewehrführer Jens Lucke besorgt. Sie koordinierten gestern erneut die Einsätze und versorgten die Einsatzkräfte gleichzeitig mit Kaffee und Kuchen. „Die Arbeit ist enorm kräftezehrend und durch die unter enormer Spannung stehenden Bäume auch sehr gefährlich“, betonte Wittdüns Wehrführer Dietmar Hansen während er die von seinen Kameraden zerlegten Bäume mit dem Bagger zur Seite räumte. Die intensiven Schauer während der Arbeiten durchnässten die Helfer trotz der schützenden Einsatzkleidung außerdem.

 

Nebels Bürgermeister Bernd Dell-Missier verschaffte sich einen Überblick vor Ort und wurde nicht müde, seinen Dank den freiwilligen Einsatzkräften auszusprechen. Ein ebenso großer Dank geht dabei an die unzähligen Arbeitgeber auf Amrum, die ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Bewältigung dieser Katastrophe freistellten. „Ich kann noch überhaupt nicht abschätzen, wie hoch der Schaden sein wird“, so Dell-Missier. „Eins ist jetzt schon klar, die Aufräumarbeiten werden noch Wochen und Monate dauern. Und es ist kaum ein privates Grundstück, wo nicht auch Bäume umgestürzt sind oder andere Schäden verursacht wurden“, so der Bürgermeister.

 

Es herrscht derzeit ein Betretungsverbot in ganz Nordfriesland für die Wälder. „Die bekannten Sammelplätze für das Biikebrennen im Februar haben wir aufgrund der besonderen Lage bereits heute geöffnet“, verkündete Dell-Missier bereits am Morgen.

 

Auf der ganzen Insel beherrschen der Sturm und seine Auswirkung die Gespräche. Das Erzählen von Erlebnissen ist dabei oft ein bewährtes Mittel, um das Erlebte und die erfahrenen Ängste abzuarbeiten. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben so viele Bäume brechen und mit Getöse niederstürzend hören wie am Montag“, erzählte ein Süddorferin zum Beispiel. Eine Andere war immer noch fassungslos, wie viel Leichtsinn Eltern an den Tag legen konnten und mit ihren Kleinkindern fröhlich durch die Straßen marschieren, während die Bäume überall umstürzten.

 

Am Montag gab es zum Beispiel einen Insulaner, der einen jungen Feuerwehrkameraden beschimpfte, weil dieser ihn nicht mit seinem Auto die gesperrte Straße in Norddorf passieren lassen wollte. „Für mich eine Farce, wo doch offensichtlich war, dass dies eine Spazierfahrt werden sollte“, berichtete der hinzugerufene Gruppenführer. „Gern geholfen haben wir dagegen einer Gästefamilie, die in Norddorf gestrandet war und für ihr Kind dringend die Medikamente benötigte, die in Nebel in der Ferienwohnung lagen“, freute sich der Feuerwehrmann.

 

Derweil herrscht bei den Versicherungen Hochbetrieb. Etliche Dächer und Fassaden sind hin und bei den Handwerksbetrieben laufen die Telefone heiß. Nicht selten sind große Dachflächen einfach weggerissen und die Unbilden des Wetters haben freien Zugang zu den unterm Dach liegenden Wohnungen.

 

 

28.10.2013

Die Amrum-News hatten gestern Morgen noch vor dem herannahenden Sturm gewarnt und die vom Wetterdienst herausgegebenen Empfehlungen, das Haus während des Orkans nach Möglichkeit nicht zu verlassen, weitergegeben. Heute können wir nur eine als vorläufig anzusehende Zusammenfassung des Sturmgeschehens veröffentlichen. In der frühen Dunkelheit blieben viele Schäden noch unentdeckt und ein genaueres Bild von den entstandenen Schäden wird es sicherlich erst heute und in den nächsten Tagen geben.

 

Bis zum Mittag ließen gestern nur einzelne Sturmböen erahnen, was da noch kommen könnte. Dann ging es rasend schnell, als wenn jemand eine Höllenwindmaschine angestellt hätte. Mit Orkanböen bis zu 170 Stundenkilometer (oder mehr) fegte Orkantief „Christian“ am Nachmittag über die Insel und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Der immense Winddruck machte den Aufenthalt im Freien zum unangenehmen „Sandstrahlerlebnis“.

 

Eine Giebelwand die in Wittdün zu Boden stürzte, eröffnete die Windschädenstatistik und alarmierte die Kameraden der Feuerwehr. Für sie sollte es ein langer Einsatztag werden. „Wir können derzeit nichts am Dach machen und hoffen nur, dass nicht der Dachstuhl abgehoben wird“, erklärte Wittdüns Wehrführer Dietmar Hansen, selbst bemüht nicht umgeweht zu werden. „Meine Kinder sind noch zwei Minuten vorher durch die Tür ins Haus gegangen“, zeigte sich der Vater beim Blick auf den Haufen Rotsteine erschrocken.

 

Die Leitung der Öömrang Skuul hatte sich glücklicherweise entschlossen, alle Kinder vorsorglich um 12.00 Uhr nach Hause zu schicken. Und wie am späten Abend bekannt wurde, fällt zum glaubhaften Bedauern der Kinder auch am heutigen Dienstag die Schule aus.

 

Ansonsten hatten die Einsatzkräfte zwischenzeitlich den Eindruck, dass die Vernunft bei vielen Leuten ausgesetzt hat. „Wie viele Autofahrer wir heute gesprochen haben, die auf keinen Fall hätten zu Hause bleiben können und unbedingt die Straße passieren mussten, auf die gerade im Minutentakt die Bäume gestürzt waren, war schon gruselig“, zeigte sich ein Kamerad der Amrumer Feuerwehren verständnislos. Dabei sprach er das aus, was viele dachten, die derweil Sorge hatten beim Einsatz umgefahren zu werden. Dass nach den vorliegenden Erkenntnissen glücklicherweise keine Personen zu Schaden gekommen sind, hatte da nicht immer was mit Vernunft zu tun.

 

„In der Wittdüner Inselstraße rauschen die Dachziegel auf die Straße und wir können über die Leitstelle nicht die Polizei erreichen“, zeigte sich Dietmar Hansen genervt. „Die Sicherheit ist nicht zu gewähren und die Straße muss gesperrt werden“.

 

Wie sich später rausstellte, gab es für die Polizeibereitschaft auf Amrum bis dahin generell keinerlei Alarmierung.

 

Derweil flog fast alles, was nicht niet- und nagelfest war, durch die Gegend. Die Mitarbeiterinnen einer Mutter-Kind-Klinik in Norddorf hatte Mühe die betreuten Kinder ohne „Dachschaden“ zu ihren Müttern zurückzubringen. Unzählige Bäume, egal ob frei stehend oder im Wald geschützt stehend hielten der enormen Windlast nicht stand. Komplett mit Wurzelteller umgedrückt oder einfach in großer Höhe abgebrochen. Den Einsatzkräften blieb nur die Vollsperrung der verschiedenen unpassierbaren Abschnitte der Landesstraße, um mit unzähligen Kettensägen die Knäule zu entwirren und anschließend mit Radladern und Baggern Stämme und Buschwerk beiseite zu drücken.

 

„Ob wir noch die waldreichste Insel sind?“, überlegten wir und versuchten zwischenzeitlich zu überschlagen, wie viele Bäume wohl umgebrochen sind. „Ich habe jetzt Halligblick“, stellte ein Bewohner im Süddorfer Wald sarkastisch beim Anblick des Windbruchs fest.

 

Bis tief in die Nacht waren die Feuerwehren der Insel unterwegs um mit vereinten Kräften die Wege in Nebel freizuschneiden und somit die anliegenden Häuser für den Notfall erreichbar zu machen. Auf unter Bäume begrabene Autos, Häuser und auch Boote konnte die Feuerwehr in der Dunkelheit nicht eingehen. „Die umgebrochenen Bäume stehen unter gewaltiger Spannung und unsere Einsatzkräfte brauchen eine intensive Ausleuchtung am Einsatzort“, verdeutlichte der stellvertretende Amtswehrführer Klaus-Peter Ottens die Brisanz.

 

Nebels Bürgermeister sprach im Telefonat am Abend allen Einsatzkräften der Feuerwehren auf Amrum seinen von Herzen kommenden Dank für die schnelle und unermüdliche Hilfe auch im Namen der Bürger aus. „Ich kann derzeit überhaupt noch nicht sagen, wie es weiter gehen soll und wie hoch die Schäden sind. Die Bestandsaufnahme bei Tageslicht wird erst zeigen, wie viele Bäume umgebrochen sind und wie viele Instabile in der nächsten Zeit noch gefällt werden müssen“, fasste Dell-Missier den Ausnahmezustand zusammen.

 

Die angekündigte Sturmflut erreichte zwar nicht die kritischen Wasserstände, doch den Fahrplan der Wyker Dampfschiffs-Reederei brachte der Orkan doch erheblich durcheinander. Wie Reederei-Chef Axel Meynköhn mitteilte, mussten die Fähren auf See den Sturm „abwettern“. Bei diesem Seegang konnten die Schiffe einfach nicht anlegen, hieß es. Der Busbetrieb wurde ab 14.30 Uhr eingestellt.

Bürgermeister Bernd Dell-Missier informierte gerade noch unsere Redaktion, dass die Biike-Plätze in Nebel (Kläranlage) und Norddorf ab sofort geöffnet sind. Des weiteren bat Dell-Missier alle Vermieter ihre Gäste zu informieren, dass der gesamte Wald auf Amrum gesperrt sei.

 

 

Autor: Thomas Oelers

 

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